1990 bekam Polen einen neuen Namen und ein neues Staatswappen – der historische Name "Republik Polen" und der gekrönte Adler, das Symbol der Unabhängigkeit, wurden wieder eingeführt. Dies war das Ergebnis eines langjährigen Kampfes der antikommunistischen Opposition, in dem die 1980 gegründete Unabhängige Gewerkschaft "Solidarność" die führende Rolle einnahm. Trotz der Einführung des Kriegszustands und des Verbots der Bewegung überlebt die "Solidarność" im Untergrund. Schließlich beschlossen die kommunistischen Behörden, den Dialog mit einem Teil der Opposition aufzunehmen. Als Ergebnis der Gespräche am Runden Tisch wurden 1989 halbfreie Wahlen abgehalten, die den Weg für weitere Veränderungen ebneten, einschließlich der Bildung einer nichtkommunistischen Regierung unter Ministerpräsident Tadeusz Mazowiecki.

 

Anfangs des Jahres 1990 traten nicht nur symbolische Änderungen in Kraft. Es wurde ein Prozess tiefgreifender Wirtschaftsreformen eingeleitet, der als "Balcerowicz-Plan" in die Geschichte einging, nach dem Namen des stellvertretenden Ministerpräsidenten, der für die Ausarbeitung des Gesetzespakets verantwortlich war. Das Programm trug unter anderem zur Stabilisierung der Währung und zur Verringerung der Inflation bei und beschleunigte den Übergang zur Marktwirtschaft. Langfristig ermöglichte es die Schaffung einer gesunden Basis für die Wirtschaft, aber in den ersten Jahren bedeutete es vor allem einen Rückgang der Lebensqualität, Konkurse von Staatsbetrieben, einen raschen Anstieg der Arbeitslosigkeit und damit verbundene soziale Probleme. Im Sommer 1990 wurde ein Gesetz zur Privatisierung von Staatsbetrieben verabschiedet, was in den meisten Fällen im Wege der Liquidation geschah.

 

Das spektakulärste Ereignis zu Beginn des Jahres 1990 war der elfte und – wie sich herausstellen sollte – letzte Kongress der Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei. Die Partei, die das kommunistische Polen jahrzehntelang diktatorisch regiert hatte, war im Herbst 1989 in eine tiefe Krise gestürzt. Die Formulierung von der "führenden Rolle" der Partei im Staat wurde aus der Verfassung gestrichen, Tausende von Menschen gaben ihre Parteimitgliedsausweise zurück und weitere Strukturen wurden aufgelöst. In dieser Situation wurde beschlossen, die Partei abzuschaffen, was durch die Worte des letzten Ersten Sekretärs des Zentralkomitees (vormals Ministerpräsident) Mieczysław F. Rakowski symbolisiert wurde: "Bringt die Standarte raus!". Die PZPR wurde durch eine neue Partei ersetzt – die Sozialdemokraten der Republik Polen. Man hoffte, dass die Umbenennung dazu beitragen würde, erneut gesellschaftlichen Rückhalt zu finden. Und so kam es auch: Im Herbst 1993 gelangten die Postkommunisten auf einer Welle der Enttäuschung über die schwierigen Reformen wieder an die Macht.

 

In der Zwischenzeit bestanden der Warschauer Pakt und der Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe, die erst 1991 aufgelöst wurden, weiter. Erst in der zweiten Jahreshälfte begannen die Gespräche über den Abzug der sowjetischen Truppen aus Polen. Polen selbst schlug jedoch immer mutiger den Weg in ein vereintes Europa ein, von dem aus Hilfe in Form des speziellen PHARE-Fonds zu fließen begann. Im März 1990 hielt Ministerpräsident Mazowiecki eine wichtige Rede vor dem Europarat, in der er erklärte, dass "wir Europa nicht wenig zu bieten haben". Gemeint war damit vor allem, dass die Länder, die sich aus sowjetischer Abhängigkeit befreit hatten, ihren Glauben an die europäischen Werte, für die sie gegen den Kommunismus gekämpft hatten, in den Integrationsprozess einbringen wollten. Auf internationaler Ebene stand die Regierung vor der Herausforderung der angekündigten deutschen Wiedervereinigung – man befürchtete, dass die polnische Westgrenze in Frage gestellt werden könnte.

 

Im Inland fand sich die Regierung Mazowiecki jedoch zunehmend für das im Vergleich mit anderen Ländern zu langsame Tempo der politischen Reformen in der Kritik. Bis Juli 1990 gehörten der Regierung die kommunistischen Minister für Inneres und Verteidigung an. Erst im April wurde die Zensur abgeschafft, und bald darauf wurde der Sicherheitsdienst aufgelöst und durch das Amt für Staatsschutz ersetzt. Dennoch zählte Letzteres viele ehemalige Funktionäre des kommunistischen Sicherheitsapparats. Die analogen militärischen Dienste wurden überhaupt nicht reformiert, lediglich ihre Bezeichnung wurde im Jahr 1991 geändert. Diese Aspekte haben über die Jahre Kontroversen hervorgerufen, ebenso wie die meist erfolglosen Versuche, kommunistische Verbrecher zu bestrafen. Gerechtigkeit und Wahrheit triumphierten aber in symbolischer Weise – im April 1990 gestand die Sowjetunion nach jahrzehntelangen Lügen offiziell ihre Verantwortung für das Massaker von Katyn ein.

 

Die ersten freien Wahlen zur kommunalen Selbstverwaltung, die im Mai 1990 stattfanden, waren ein wichtiger Durchbruch. Die Selbstverwaltung erhielt breite Kompetenzen, die zumeist gut genutzt wurden. Das Gesicht der Städte und Dörfer veränderte sich, und die Reform der Kommunalverwaltung gilt weithin als eine der erfolgreichsten Entwicklungen der polnischen Transformation.

 

Die politische Szene veränderte sich rasch und neue Parteien wurden gegründet. Die Polen gewöhnten sich allmählich an die neuen, oft heftigen politischen Auseinandersetzungen. Für Aufregung etwa sorgte die Entscheidung, den Religionsunterricht an den Schulen wieder einzuführen. Nach und nach wurde die Parole von Lech Wałęsa, dem Anführer der "Solidarność", zur "Beschleunigung" der Reformen zum zentralen Thema der Debatte. Das Problem bestand darin, dass das mit weitreichenden Befugnissen ausgestattete Amt des Präsidenten vom letzten kommunistischen Diktator – Wojciech Jaruzelski – ausgeübt wurde und dessen Amtszeit noch viele Jahre andauerte. Schließlich trat Jaruzelski, dem die Kraft zur Fortsetzung des Kampfes abhandengekommen war, zurück, so dass erste allgemeine Präsidentschaftswahlen abgehalten werden konnten.

 

Neben Wałęsa entschied sich auch Ministerpräsident Mazowiecki zu kandidieren und propagierte seine Vision eines behutsamen Wandels mit dem Slogan "Eile mit Weile". Es sah so aus, als ob er der Hauptgegner des Anführers der "Solidarność" sein würde. Unerwarteterweise schaffte es jedoch der bis dahin unbekannte Emigrant Stanisław Tymiński in die zweite Runde. Dies brachte das Ausmaß der Erschöpfung und Enttäuschung der Polen zum Ausdruck und veranlasste den Ministerpräsidenten zum Rücktritt.

 

Wałęsa gewann schließlich im zweiten Wahlgang und wurde im Dezember 1990 Präsident. Gleichzeitig stellte die polnische Exilregierung, die seit 1939 ununterbrochen bestanden hatte, ihre Tätigkeit ein. Im Königsschloss in Warschau überreichte der letzte Präsident im Exil, Ryszard Kaczorowski, Lech Wałęsa feierlich die Insignien der Republik Polen. Mit den ersten freien Parlamentswahlen (1991), dem Abzug der russischen Truppen (1993), dem Beitritt zur NATO (1999) und zur Europäischen Union (2004) wurde ein Kapitel der polnischen Geschichte geschlossen und ein neues aufgeschlagen.