Łukasz Kamiński

 

1990 das erste Jahr

 

Unsere Erinnerung an den Zusammenbruch des Kommunismus wird von den Ereignissen des Jahres 1989 beherrscht. Wir erinnern uns an den Runden Tisch in Polen, an die Menschenkette im Baltikum, an den Fall der Berliner Mauer oder an die Samtene Revolution in der Tschechoslowakei. Dabei spielten sich viele Schlüsselereignisse in dem darauffolgenden Jahr ab. Das Europa, wie wir es heute kennen, wurde eben 1990 geboren.

 

Es steht außer Frage, dass das Jahr 1989 einen Wendepunkt, eine Art Annus Mirabilis darstellte. Zugleich sollte man nicht vergessen, dass man sich über das Ausmaß der sich vollziehenden Veränderungen und deren Folgen nicht gleich im Klaren war. Am 18. November – seit dem Fall der Berliner Mauer war zu diesem Zeitpunkt nicht viel mehr als eine Woche vergangen – kam es zu einem informellen Treffen des Europäischen Rates. Die Regierungschefs der Staaten, die der Europäischen Gemeinschaft (dem Vorgänger der Europäischen Union) angehörten, bekundeten einerseits ihren Willen, die demokratischen Veränderungen im östlichen Teil des Kontinents zu unterstützen, andererseits bestätigten sie die Stabilität „der bestehenden Bündnisse und Grenzen“. Man ging offensichtlich davon aus, dass der Ostblock in irgendeiner reformierten Form fortbestünde. So dachten auch die Anführer der beiden Supermächte – George H. W. Bush und Michail Gorbatschow, die Anfang Dezember 1989 auf Malta zusammenkamen –, beispielsweise darüber nach, ob es nicht ein gutes Zeichen der Entspannung wäre, die Olympischen Spiele im Jahre 2004 durch die beiden deutschen Staaten gemeinsam austragen zu lassen.

 

Geheime Unterlagen und erste Wahlen

 

Anfang 1990 waren in der Deutschen Demokratischen Republik Gespräche am Runden Tisch zwischen den kommunistischen Machthabern und der Opposition im Gange. Zu den wichtigeren Themen gehörten dabei das Problem der allgewaltigen politischen Polizei – der Stasi – sowie die Frage, was mit den von ihr zusammengetragenen Unterlagen geschehen sollte. Am 15. Januar wurde das Gebäude des Ministeriums für Staatssicherheit in Berlin auf Aufforderung durch das Neue Forum – der Hauptorganisation der Opposition – von tausenden Menschen besetzt. Zusammen mit früheren Besetzungen von Stasi-Niederlassungen in anderen Städten führte dies letztlich dazu, dass die Akten den Bürgern zur Verfügung gestellt wurden. In anderen Staaten dauerte dieser Prozess wesentlich länger und war nicht frei von hitzigen Kontroversen. Die ersten Institutionen, die dafür zuständig waren, Dokumente des kommunistischen Sicherheitsapparates bereitzustellen, entstanden erst gegen Ende des Jahrzehnts.

 

Ein paar Tage später wurde in Sofia der kurz zuvor gestürzte bulgarische Diktator Todor Schiwkow verhaftet. Es wurde ihm eine Vielzahl von Straftaten zur Last gelegt. Bald wurde aber die Haftstrafe in einen Hausarrest umgewandelt, und die mehrmals wieder aufgenommenen Verfahren endeten schließlich 1996 mit einem Freispruch. Der Fall Schiwkow steht für die Wechselfälle juristischer Aufarbeitungen des Kommunismus in der gesamten Region – entgegen den anfänglichen Hoffnungen auf Gerechtigkeit konnten die meisten kommunistischen Verbrecher ihrer Strafe entgehen, und die Parteiführer (mit Ausnahme des kurzzeitig an der Spitze der ostdeutschen SED stehenden Egon Krenz) kamen nie ins Gefängnis.

 

Unterdessen fanden aber in weiteren Staaten – nach vielen Jahrzehnten – erste freie Wahlen statt. Den Anfang machte am 18. März 1990 die DDR; schon eine Woche später folgte Ungarn. Am 20. Mai war dies dann auch in Rumänien der Fall, und am 8. und 9. Juni war es in der Tschechoslowakei soweit. Gleich am darauffolgenden Tag wurde schließlich in Bulgarien gewählt. Interessanterweise musste Polen, das Land, das die mitteleuropäischen Wendeprozesse in Gang gesetzt hatte, darauf bis zum Herbst 1991 warten (1990 fanden dort die Kommunal- und Präsidentschaftswahlen statt.).

 

Obwohl die Wahlkämpfe immer noch in einer Atmosphäre von Hoffnung und Aufbruch geführt wurden, gaben sie den aus dem Kommunismus hervorgehenden Gesellschaften bereits einen Vorgeschmack auf die politischen Auseinandersetzungen, die diese in den nachfolgenden Jahren erwarten sollten. Die Wahlen selbst brachten auch die ersten Ernüchterungen mit sich, insbesondere in Bulgarien und Rumänien, wo sich die zuletzt regierenden Kommunisten an der Macht halten konnten. Die brutale Niederschlagung eines antikommunistischen Protestes in Bukarest durch die Polizei und eigens herbeigeholte Bergleute (am 14./15. Juni, die sog. Mineriade) zog sogar Todesopfer nach sich. Diese Ereignisse waren Vorboten heftiger gesellschaftlicher Konflikte, zu denen es während der schwierigen Phase der Transformation in vielen Staaten kommen sollte.

 

Die Wahlen in der Tschechoslowakei gewannen zwei Gruppierungen, die in den turbulenten Novembertagen des Jahres 1989 entstanden waren – das tschechische Bürgerforum und die slowakische Öffentlichkeit gegen Gewalt. Trotz der unternommenen Versuche, den gemeinsamen Staat zu reformieren, mit dem Ziel, die Eigenständigkeit seiner beiden Bestandteile zu erhöhen, setzte bald der Prozess „einer samtenen Scheidung“ ein, der rasch verlief und am 1. Januar 1993 in den Gründungen der Tschechischen Republik und der Slowakischen Republik seinen Abschluss fand.

  

Schwierige Reformen und europäische Bestrebungen

 

Polen, das mit der Zeit die Siegestrophäe auf dem Feld der politischen Reformen abtreten musste, konnte Anfang 1990 seine Stellung als Spitzenreiter in Sachen wirtschaftliche Veränderungen festigen. Erreicht wurde dies mit einem Gesetzespaket, das gemeinhin als „Balcerowicz-Plan“ – nach dem Nachnamen des damaligen stellvertretenden Ministerpräsidenten – bezeichnet wurde. Neben einer weiteren Marktanpassung der Wirtschaft und der Stabilisierung der Währung machte die Reform es u. a. möglich, dass Staatsunternehmen den Bankrott erklären konnten. Diese Veränderungen erlaubten es langfristig, die Wirtschaft zu sanieren, kurzfristig sah man jedoch vor allem die sozialen Kosten. Am sichtbarsten war dabei die Arbeitslosigkeit, die innerhalb eines Jahres von 0,3% auf 6,5% zunahm, nur um in den folgenden Jahren weiter anzusteigen. Das Bruttoinlandsprodukt sank erheblich, der Export im Rahmen des ehemaligen Ostblocks brach ein.

 

Ähnliche Phänomene traten im Lauf der ersten Hälfte der 1990er Jahre in kleinerem oder größerem Ausmaß in allen Ländern der Region auf. Der Preis für den Übergang von der Zentralplanwirtschaft zur freien Marktwirtschaft wurde in der Hauptsache von den Gesellschaften gezahlt. Eine Chance, die Wirtschaft zu beleben, sah man u. a. in der Privatisierung, mit der am ehesten (im Januar 1990) in Ungarn begonnen wurde. Auch diese Entwicklung war, wie sich zeigte, nicht frei von Missbräuchen und Korruptionsfällen, so dass sich die – durch wirtschaftliche Schwierigkeiten verursachte – gesellschaftliche Frustration vertiefte.

 

„Rückkehr nach Europa” – so lautete eine im Jahr 1990 beliebte Formulierung, die als Losung ausgegeben wurde. Ungeachtet der Kontroverse, ob der mittelöstliche Teil des Kontinents diesen jemals verlassen hatte, kam darin der Wunsch zum Ausdruck, sich dem seit Jahrzehnten andauernden Prozess der wirtschaftlichen und politischen Integration anzuschließen. Der polnische Ministerpräsident Tadeusz Mazowiecki war einer der ersten, der diese Forderung offen aussprach. Im Januar 1990 sagte er bei einer Sitzung des Europarates: „’Rückkehr nach Europa‘ ist womöglich eine allzu schwache Bezeichnung […]. Man muss vielmehr von einer ‘Wiedergeburt Europas‘ sprechen”. Zugleich wies er im Namen der gesamten Region darauf hin, dass „wir Europa [gar] nicht [so] wenig zu bieten haben. […] Wir kennen den Preis für die Europäizität, für die europäische Norm, die die Bürger Europas gegenwärtig erben und dabei nicht einmal eine Erbschaftssteuer zahlen. […] Wir bringen somit in das Europa unseren Glauben an Europa ein.”

 

Mit den offen bekundeten proeuropäischen Bestrebungen brach allmählich die bisherige Zusammenarbeit im Rahmen des Warschauer Paktes und des Rates für Gegenseitige Wirtschaftshilfe zusammen. Formal gesehen hörten sie Mitte 1991 auf zu existieren.

 

Der Weg zu einem geeinten Europa war aber nicht kurz. Die erste Gruppe von Ländern aus Ostmitteleuropa trat der Europäischen Union 2004 bei, die nächste folgte 2007. Weniger Zeit wurde gar benötigt, um die Mitgliedschaft in der NATO zu erreichen (Tschechien, Polen und Ungarn gelang dies bereits 1999). Der Prozess der europäischen Integration erforderte die Erfüllung vieler Voraussetzungen – von einer Marktanpassung der Wirtschaft und dem Aufbau einer funktionierenden Demokratie bis hin zu zahlreichen Rechtsreformen.

 

Wesentlich mehr Zeit nahm der Prozess in Anspruch, bei dem die über Jahrzehnte des Kommunismus geprägte Mentalität sich wandelte und eine Zivilgesellschaft aufgebaut wurde. In gewisser Weise ist diese Entwicklung bis heute noch nicht abgeschlossen.

 

Der Weg zur Unabhängigkeit

 

Am 11. März 1990 vollzog der Oberste Rat Litauens den Akt der Wiederherstellung des litauischen Staates und erklärte dabei die Erneuerung der – nach der Besetzung des Landes durch die Sowjetunion 1940 verlorenen – Unabhängigkeit. Anfang Mai entschied sich Lettland dazu, einen ähnlichen Schritt zu vollziehen, und im Januar 1991 tat dies auch Estland. Für die sowjetischen Machthaber waren diese Aktivitäten nicht hinnehmbar. Im Januar 1991 kam es somit zu einer Intervention, die mit einem Fiasko endete – in Vilnius kamen vierzehn Menschen ums Leben, in Riga waren sechs Opfer zu beklagen. In dem im März 1991 abgehaltenen Referendum bekräftigten die drei Nationen ihren dezidierten Wunsch, ihre Unabhängigkeit wiederzuerlangen.

 

Den fortschreitenden Zerfall der UdSSR suchten Putschisten aufzuhalten, die im August 1991 kurz die Macht in Moskau übernahmen. Paradoxerweise zeitigte ihr gescheitertes Unterfangen den entgegengesetzten Effekt, indem es den Desintegrationsprozess beschleunigte. So erklärten u. a. Belarus und die Ukraine ihre Unabhängigkeit. Kurz darauf erkannten die Vereinigten Staaten von Amerika die Unabhängigkeit Litauens an. Den USA folgten weitere Staaten. Ende Dezember 1991 gab es die Sowjetunion nicht mehr. Außer typischen Problemen, die sich aus politischen und wirtschaftlichen Reformen ergaben, sahen sich die Baltischen Staaten, insbesondere Lettland und Estland, mit einer weiteren Herausforderung konfrontiert – einer großen russischen Minderheit. Sie setzte sich aus der Bevölkerung zusammen, die während der knapp fünfzig Jahre dauernden Besatzungszeit eingewandert war.

 

Der Zerfall Jugoslawiens nahm einen wesentlich dramatischeren Verlauf als der Zusammenbruch der Sowjetunion. Obgleich das Land seine eigene Variante des Kommunismus aufbaute und seit 1948 nicht mehr zum sowjetischen Block gehörte, kam es dort in vergleichbarer Zeit zur Systemkrise. Verstärkt wurde diese durch Spannungen zwischen den Völkern, aus denen sich der Staat zusammengesetzt hatte, sowie durch Konflikte, die unterdrückt worden waren, solange das Regime stark war. Im Frühjahr 1990 siegten bei den Wahlen in Slowenien und in Kroatien neu ins Leben gerufene nichtkommunistische politische Parteien. Im Dezember sprach sich die entschiedene Mehrheit der Slowenen in einem Referendum dafür aus, die Unabhängigkeit auszurufen. Im Falle dieser beiden Staaten kam es dazu im Juni 1991. In Reaktion darauf griff die von den Serben kontrollierte jugoslawische Armee die beiden Republiken an. Damit begann ein mehrere Jahre andauernder, blutiger Konflikt. Neben Kroatien wurden besonders erbitterte Kämpfe in Bosnien und Herzegowina geführt. Der Krieg im ehemaligen Jugoslawien forderte nicht nur zahlreiche Opfer im Rahmen der Kampfhandlungen; er zeichnete sich auch durch viele Verbrechen an der Zivilbevölkerung aus.

 

Die deutsche Wiedervereinigung

 

In Deutschland schien noch in den ersten Wochen nach dem Fall der Berliner Mauer der Weg zur deutschen Wiedervereinigung lang zu sein. Führende Politiker formulierten ihre Ansichten vorsichtig – aus Sorge, offen an den Tag gelegte Eile könnte negative Folgen für den Demokratisierungsprozess Ostmitteleuropas und die Erwärmung der Beziehungen zwischen Ost und West haben. Die Schnelligkeit der Umwälzungen in den einzelnen Staaten, der völlige Bedeutungsverlust der ostdeutschen Kommunisten und die Schwäche der Sowjetunion machten es aber möglich, den Prozess der Wiedervereinigung zu beschleunigen. Eindeutig war auch der Wille der Ostdeutschen selbst: Die um die CDU versammelte „Allianz für Deutschland”, die sich die „Wiedervereinigung“ auf die Fahnen schrieb, errang bei den Wahlen im März knapp die Hälfte der Stimmen.

 

Zur Vereinigung der beiden deutschen Staaten, die auf der Basis der Besatzungszonen aus der Nachkriegszeit entstanden waren, bedurfte es allerdings der Zustimmung der vier Alliierten. Im Mai 1990 begannen die Verhandlungen im „Zwei-plus-Vier”-Format – auf der einen Seite die Deutsche Demokratische Republik und die Bundesrepublik Deutschland, auf der anderen die Vereinigten Staaten, Frankreich, Großbritannien und die Sowjetunion. Ihren Abschluss fanden diese mit einem im September unterzeichneten Vertrag. Deutschland erkannte darin u. a. die existierenden Grenzen an und verpflichtete sich, seine Armee zu verkleinern und auf bestimmte Waffenarten zu verzichten. Im Gegenzug dafür erlangte es endgültig seine vollständige Souveränität zurück.

 

Die Wiedervereinigung fand am 3. Oktober 1990 statt und löste eine ähnliche Begeisterung aus wie zuvor der Fall der Berliner Mauer. In der Praxis ähnelte sie aber mehr der Absorption eines schwächeren Partners durch die Bundesrepublik Deutschland. Zudem erreichte das Lebensniveau im östlichen Teil des Staates – trotz enormer westlicher Investitionen – niemals den Lebensstandard des westlichen Teils. Die wachsende Enttäuschung und das Gefühl, Bürger zweiter Kategorie zu sein, ließ eine starke Sehnsucht nach der DDR (die so genannte „Ostalgie“) entstehen. Ähnliche Phänomene – einer sentimentalen Einstellung zu stabilen Zeiten des Kommunismus – waren in den 1990er Jahren in allen Ländern des ehemaligen sowjetischen Blocks zu erkennen. In Deutschland war das Phänomen aber am stärksten und am langlebigsten; in gewissem Maße besteht es bis heute fort.

   

Freiheit

 

Im Februar 1990 wurde in Breslau der erste private Fernsehsender „Echo” gegründet. Bereits 1989 begannen in Polen die Tageszeitung „Gazeta Wyborcza” und die Wochenzeitschrift „Tygodnik Solidarność” legal zu erscheinen. Kurz darauf kamen unabhängige Rundfunksender hinzu, und im April 1990 wurde die Zensur abgeschafft. Freie Medien konnten in der gesamten Region aufblühen. Einige Jahre später gingen die USA dazu über, nationale Redaktionen des Radios Freies Europa, die mehrere Jahrzehnte lang die Gesellschaften hinter dem Eisernen Vorhang mit unzensierten Informationen versorgten, zu schließen. Man war zu dem Schluss gekommen, dass sie nicht mehr gebraucht würden.

 

Ähnliche Phänomene wie in den Medien ließen sich auch in den Bereichen Kultur und Wissenschaft beobachten. Das Ende der Zensur und der Wegfall ideologisch aufgezwungener Themen brachten die Experimentier- und Forschungsfreiheit mit sich. In Buchhandlungen waren nunmehr Bücher zu finden, die zuvor verboten gewesen waren, darunter auch Veröffentlichungen von im Exil tätigen Autoren. Nicht nur in der Tschechoslowakei wurden in Theatern Stücke des herausragenden Schriftstellers, langjährigen Dissidenten und politischen Gefangenen Václav Havel aufgeführt, der sich plötzlich in eine unerwartete Rolle die des Staatspräsidenten – einfinden musste. Es stellte sich aber rasch heraus, dass sich Vertreter der Kultur und der Medien neuen Herausforderungen würden stellen müssen, vor allem der allgegenwärtigen Kommerzialisierung.

 

Ein Symbol für die kommunistische Unterdrückung war die nach sowjetischen Vorbildern aufgebaute Geheimpolizei. Als erste wurde bereits Ende 1989 die rumänische „Securitate“ aufgelöst, im Februar 1990 war die tschechoslowakische „Státní bezpečnost“ an der Reihe. Es folgten weitere Einheiten. Viele ehemalige Beamte setzten ihre Tätigkeit in neuen Strukturen fort, was in den darauffolgenden Jahren immer wieder für Kontroversen sorgte, ähnlich problematisch, wie es sich auch anhand der Entlarvung ehemaliger geheimer Mitarbeiter erwies. Parallel dazu wurden das Justizwesen sowie viele weitere Institutionen reformiert und an die Wirklichkeit des Rechtsstaates angepasst.

 

Zudem war 1990 der öffentliche Raum im Wandel begriffen. So verschwanden viele kommunistische Symbole, Denkmäler und Straßennamen. Der Prozess wurde freilich nicht abgeschlossen, und die damit verbundenen Probleme kehren auch heute zurück. Als ein Beispiel dafür kann der jüngste Streit um die Beseitigung eines Denkmals des sowjetischen Marschalls Iwan Konew in Prag gelten.

 

Am 11. Dezember 1990 wurde in Tirana das im Stadtzentrum stehende Denkmal des Diktators Enver Hoxha von einer Einwohnermenge gestürzt. Innerhalb weniger Wochen brach daraufhin das grausamste kommunistische System in Europa zusammen. Das Ausmaß früherer Repressionen, die Zerschlagung unabhängiger Eliten und die jahrelange Abschottung Albaniens bewirken, dass dieses Land bis heute am stärksten die Last des kommunistischen Erbes spürt.

 

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Deutlich wurde im Jahr 1990, dass die Folgen der Ereignisse der vorangegangenen Monate viel tiefgreifender als zuvor angenommen sein würden. Andererseits wurde den Menschen in Ostmitteleuropa allmählich klar, dass der Kollaps des kommunistischen Systems sie vor viele Herausforderungen stellte, mit denen sie in den kommenden Jahren zu kämpfen haben würden.

 

Präsident Václav Havel kam darauf in seiner Neujahrsansprache zu sprechen: „Es stellte sich heraus, dass das Erbe der vergangenen Jahrzehnte, mit dem wir uns auseinandersetzen müssen, schlimmer ist, als wir in der freudigen Atmosphäre der ersten Wochen der Freiheit dachten und ahnen konnten. Jeden Tag tauchen neue Probleme auf, und wir sehen täglich, wie sie miteinander verflochten sind, wie langwierig deren Lösung ist und wie schwierig es ist, die richtige Reihenfolge zu bestimmen, in der sie gelöst werden sollten. Wir wussten, dass sich das Haus, das wir geerbt haben, nicht im besten Zustand befindet; der Putz fiel hier und da ab, das Dach sah verdächtig aus, Zweifel hatten wir noch hinsichtlich einer anderen Sache. Nach einem Jahr vorläufiger Arbeiten stellen wir geschockt fest, dass die Rohre durchgerostet sind, dass die Deckenbalken durchgefault sind, dass die Elektroinstallation sich in einem katastrophalen Zustand befindet und dass der Umbau, den wir geplant und auf den wir uns gefreut haben, länger dauern und mehr kosten wird, als wir ursprünglich dachten. Es wird uns bewusst, dass das, was uns vor einem Jahr lediglich ein heruntergekommenes Haus zu sein schien, in Wirklichkeit eine Ruine ist.”

 

Zum Glück können wir heute, nach über dreißig Jahren, ruhig feststellen, dass der Wiederaufbau – trotz aller Schwierigkeiten und Rückschläge – mit einem Erfolg endete. Unser Haus ist nicht ideal, wir sehen viele Dinge, die zu reparieren sind. Es hängt aber nur von uns ab, wie es in Zukunft aussehen wird.